Kommunikativ herausfordernd: Menschenrechte und Umweltthemen eignen sich für Pro-Kampagnen, weil sie schwierig zu kontern sind und moralisch aufgeladen werden können. (zvg)
Das Resultat der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative ist bekannt, die Analysen, warum es zu diesem Ausgang gekommen ist, sind noch im Gang. Mit mehr Abstand wird es auch einfacher werden, die richtigen Schlüsse aus diesem wohl historischen Urnengang zu ziehen. Als vorläufiges Fazit vorab vier erste Erkenntnisse, die wir aus unserer Arbeit als von der economiesuisse beauftragte Kommunikationsagentur ziehen und die möglicherweise für zukünftige Abstimmungskämpfe von Bedeutung sein werden:
Moral versus Details
Die KVI-Abstimmung hat deutlich gezeigt: Übergeordnete Themen, wie das Engagement für Menschenrechte und die Umwelt, eignen sich für Pro-Kampagnen, weil sie schwierig zu kontern sind und stark moralisch aufgeladen werden können. Wer ist schon nicht für Menschenrechte? Gegen Umweltzerstörung? Gegen Krieg und Tod? Wer diesen Themen aber konkrete Gesetzestexte gegenüberstellt, wird schnell als kleinlicher und komplizierter Krämer wahrgenommen.
Oder wie es NZZ-Inlandchefin Christina Neuhaus im Leitartikel am Samstag vor dem Abstimmungssonntag auf den Punkt gebracht hat: «Volksbegehren haben seit je Befürworter und Gegner. Auch der Versuch, die Moral auf die eigene Seite zu ziehen, ist nicht neu. Neu ist die Vehemenz, mit der politische Akteure die Moral für sich pachten: Trinkwasser verseucht. Kind vergiftet. Rohstoffkonzern schuldig. Gegner der Konzernverantwortungsinitiative mitschuldig. Gute schwenken die orange Fahne. Böse stimmen Nein.»
Meinungen und Emotionen werden zunehmend wichtiger, möglicherweise wichtiger als Fakten. Und auch um diese wird immer heftiger gekämpft. Letztlich geht es um die Deutungshoheit zu den Fakten. Die grössten Vorteile auf Seiten der Pro-Kampagne lagen in diesem Zusammenhang im Engagement der Kirchen: Damit sicherte man sich die moralische «Luftüberlegenheit»: Menschlichkeit als moralischer Imperativ – eine der stärksten Kampagnenwaffen überhaupt. Schon 2015 lautete der Imperativ, die Durchsetzungsinitiative abzulehnen. «Nicht der Appell ans rechtstaatliche Gewissen wird gegen die Initiative mobilisieren; Erfolg bringt, wenn überhaupt, die Mahnung, menschlich zu bleiben.» (Patrick Feuz im Tages-Anzeiger, 22.1.16). Die KVI-Kampagne übertraf bezüglich moralischer Aufgeladenheit alles bisher Dagewesene. Dies wäre ohne das Engagement der Kirchen nicht möglich gewesen.
Neu war aus unserer Sicht auch, dass jeder Versuch, dem Narrativ der Befürworter inhaltlich etwas entgegenzustellen, also Fakten für ein Nein zu liefern, von vornherein als Fake-News verunglimpft wurde. Diese Entwicklung, die wir aus den USA kennen, wird uns noch viel Denkarbeit abverlangen, wenn es darum geht, Abstimmungskämpfe inhaltlich zu führen.
Nur eine sichtbare und aktiv kommunizierende Wirtschaft kann sich Gehör verschaffen
Das starke Engagement der Wirtschaft gegen die KVI macht Hoffnung, dass sich die Wirtschaftsführerinnen und -führer wieder stärker persönlich in zukünftigen Abstimmungskämpfen engagieren werden, auch wenn dieses Engagement relativ spät in der Schlussphase der Kampagne eingesetzt hatte. Nach schon fast Jahrzehnten der Abstinenz haben sich CEO und Verwaltungsratspräsidenten wieder in Interviews zu einer Abstimmungsvorlage geäussert und zu kritischen Fragen Stellung genommen. Man muss weit zurückblenden, bis man einen Abstimmungskampf findet, in dem sich die Wirtschaftslenker so zahlreich für oder gegen eine Abstimmungsvorlage engagiert haben. Mit der Niederlage bei der EWR-Abstimmung endete die Phase, in der das Volk der Wirtschaft in deren Themenfeldern quasi blind folgte. Die Globalisierung, in der Schweizer Firmen zu weltweit tätigen Organisationen wurden, trug das Ihre zu einem lauten Schweigen in den Führungsetagen bei. Die Wirtschaft muss wieder lernen, dass es gut und wichtig ist, wenn sie sich aktiv zu Wort meldet, erklärt, was sie macht und welche wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Verantwortung sie wahrnimmt, und die Debatte nicht fürchtet. Ein falsch verstandenes Sicherheits- und Compliance-Denken hat in der Vergangenheit zu teilweise verhängnisvollem Abseitsstehen geführt: Nur wenn die Wirtschaft und vor allem ihre Exponentinnen und Exponenten verstanden werden, kann die Bevölkerung ihr auch zustimmen.
Angesichts künftiger Kampagnen ist es sogar dringend angezeigt, dass Unternehmerinnen, Patrons, Verwaltungsratspräsidentinnen und Manager in den kommunikativen «always on»-Modus wechseln und aktiv die Positionen der Wirtschaft erklären, damit Vertrauen schaffen und sich sichtbar, wiedererkennbar und langfristig positionieren. Dies muss unabhängig von konkreten Abstimmungsvorlagen geschehen. Es gilt also, Kernthemen dauerhaft zu besetzen, die entsprechende Haltung der Schweizer Wirtschaft zu definieren und diese über möglichst viele interne und externe Kanäle hinweg zu kommunizieren. Hier hat die Wirtschaft dazugelernt. Auch dank der breiten, von swissmem und economiesuisse orchestrierten Allianz «stark+vernetzt» gelang es, die dringend benötigte Versachlichung in die Debatte zu bringen.
Initiativen als politische Langfristprojekte
Eine sehr breit aufgestellte NGO-Allianz hat durch eine professionelle und langfristig aufgesetzte Kampagne den politischen Diskurs der letzten Monate und Jahre stark geprägt und trotz Abstimmungsniederlage erreicht, dass nun ein Gegenvorschlag in Kraft tritt. Mit dieser breiten und schlagkräftigen NGO-Allianz ist auch in künftigen Kampagnen zu rechnen.
Die Befürworter haben kampagnentechnisch sehr Vieles sehr gut gemacht: Die lange Vorlaufzeit, der permanente Kommunikationsteppich, die lokale Verankerung, die Breite der Allianz und die Emotionalisierung des Themas waren Erfolgsrezepte für die Konzernverantwortungsinitiative. Das frühzeitige Erkennen von politischen Themen – Zeithorizont zwei bis vier Jahre – und der langfristige Aufbau von gut verankerten Allianzen werden für künftige Kampagnen zentral sein. Diese Erkenntnis wird zwar in schöner Regelmässigkeit nach nahezu jeder grösseren Abstimmungskampagne vorgebracht, aber oft falsch interpretiert. Frühzeitig kommunikativ besetzt werden, müssen nicht die konkreten Abstimmungsvorlagen, sondern die grossen Metathemen: die Verantwortung der Wirtschaft gegenüber Umwelt und Gesellschaft, die Einhaltung von Menschenrechten und die Debatte über den Stellenwert der Wirtschaft in unserem Land. Aber auch die volkswirtschaftliche Bedeutung und die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft müssen wieder stärker thematisiert werden.
Weiter ist es wichtig, wie die Initianten mustergültig gezeigt haben, im digitalen Raum zu einem Meta-Thema frühzeitig eine Community aufzubauen. Hier hinken die bürgerlichen und wirtschaftlichen Kreise mit ihrer Aufstellung nach. Sie müssten schleunigst versuchen, ein ähnlich schlagkräftiges digitales Netzwerk aufzubauen. Dies würde schon nur helfen, dass deren Seite auch während des Abstimmungskampfes als feste Grösse wahrgenommen wird.
Gleichzeitig war die KVI wohl auch eine der erfolgreichsten populistischen Kampagnen von Links. Das hat nicht die Nein-Kampagne festgestellt, sondern die internationale Pressagentur Reuters. Ihr Korrespondent beschrieb KVI als eine der «energischsten und populistischsten Bewegungen im Westen». Diese Bewegung war tatsächlich energisch: Die in der Frühphase vorgetragenen öffentlichen Angriffe gegen KVI-Gegner, verbunden mit sehr persönlichen Interventionen bei Meinungsführern durch lokale Komitees, hatten zum Ziel, den Gegner zu lähmen. Leider gab es in der Schlussphase auch unschöne anonyme Filme gegen die NGO, von denen sich die Verbände aber sofort distanzierten. Auf diese, für die Schweiz neue Entwicklung gilt es für künftige Abstimmungen rechtzeitig Antworten zu finden.
Die Meta-Themen der Initiative bleiben, mit der Allianz muss man weiter rechnen
Die Meta-Themen, die die Initiative erfolgreich in die politische Arena getragen haben, sind mit der Abstimmung nicht einfach weg. Sie werden nicht nur bleiben, vielmehr scheint diese Abstimmung der Auftakt einer links-ökonomischen Meta-Kampagne zu sein. Die nächste Kampagne ist bereits geplant und betitelt: «Stop Palmöl» lautet der Slogan des Nein-Komitees zum Referendum gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Wieder dominiert die Farbe Orange, die meisten Träger haben auch die Konzerninitiative unterstützt. Der Zusammenschluss nennt sich selbst die «Palmöl-Koalition». Und diese Koalition zeichnet erneut das Bild von Konzernen als Profiteuren von Kinderarbeit oder ruchlosen Umweltzerstörern.
Weitere Vorlagen mit hohem Mobilisierungspotenzial, weil ökologische und soziale Fragen im Zentrum stehen: Im nächsten Jahr wird voraussichtlich auch noch über die Transparenzinitiative sowie die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative abgestimmt.
Und noch vor dem Abstimmungssonntag hatte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran in den Medien mit einer Initiative geliebäugelt, mit der sie den Banken eine «Grüngeld-Strategie» verpassen will. Wer gegen solche Anliegen antreten will, muss sich somit sputen, damit er nicht schon beim Gang zu den Startblöcken abgehängt und deklassiert wird.